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exhibition                                              


Schuss – Gegenschuss, 1992 –1994

W. W. Anger (1957-2004): subSYSTEME. Die Retrospektive.
01. bis 31. Oktober 2005, Minoritengalerien Graz im Priesterseminar

Ein Film über die Ausstellung W. W. Anger. subSYSTEME. Die Retrospektive. wurde von Elmar RANEGGER (Salon Deluxe, Graz) gestaltet. DVD zu erwerben über elmar@salondeluxe.at

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W. W. ANGER: subSYSTEME / podSISTEMI
Umetnostna galerija Maribor
6. februar - 18. marec 2007


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W. W. Anger
DENK-RAUM-STATIONEN

Das außergewöhnliche Werk des im Jahr 2004 früh verstorbenen Künstlers Willibald Wagner (1957-2004), der sich nach seinem Herkunftsort in der Oststeiermark Anger nannte, wurde in seiner Gesamtheit erst Ende des vorigen Jahres einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ein engagiertes Arbeitsteam aus befreundeten Künstlern, Kunsthistorikern, Literaten, Filmemachern, Journalisten hat sowohl die Entstehung eines umfassenden „Werkbuches" als auch das Zustandekommen einer groß angelegten Retrospektive im Rahmen des letzten steirischen herbst in den Minoritengalerien in Graz vorangetrieben.

Abseits des Kunstbetriebs konzentrierte sich der gelernte Bildhauer und Bühnenbildner, der in Graz lebte und arbeitete, seit den späten 1980er-Jahren ganz auf seine künstlerische Arbeit und schuf ein vielgestaltiges und vielschichtiges Werk, das sich durch die Entwicklung einer eigenständigen künstlerischen Sprachform auszeichnet. Zunächst entstehen einzelne Objekte aus Holz, Stein oder Stahl in einer archaischen, vereinfachten Formensprache, in denen sich W. W. Anger mit Formen totalitärer Ästhetik, mit machtpolitischen Verhältnissen zur Zeit der französischen Revolution und des Nationalsozialismus beschäftigt. Im Laufe der 1990er-Jahre gelangt er schließlich über raumgreifende Arbeiten für konkrete Orte bis zu Installationen aus Modul- und Containerstrukturen, die er für die Errichtung autonomer Welten und utopischer Environments verwendet.

Die Präsentation seiner Installation „Egozentrisches Universum" 1995 im Grazer Mausoleum Kaiser Ferdinands II. bedeutete für den Künstler einen Höhepunkt seiner Karriere. Die Arbeit, deren Titel sich auf ein Zitat von Claude Levi-Strauss bezieht, gilt gleichzeitig als Schlüsselwerk für sein Kunstverständnis. Ein in den Raum gespanntes Draht- und Messingflächengespinst zeigt elf bekannte Sternbilder, wobei die einzelnen Sterne die Form von Silhouetten von Verwandten und Freunden besitzen. Erst aus der Perspektive einer auf dem Boden liegenden Kopfplastik, welche die Züge des Künstlers trägt, sind die Sternformationen zu erkennen. Das scheinbar objektive Bezugssystem erweist sich als privates. Dem sakralen Gottes- und Weltbild, verkörpert durch das Mausoleum, stellt W. W. Anger eine Welt persönlicher, sozialer Beziehungen gegenüber.

Wie hier konfrontieren seine Arbeiten, in die er wiederholt eigene, sorgfältig reflektierte Erfahrungen einbringt, den Betrachter mit einer irritierenden Umkehrung der Maßstäbe und Standpunkte, hinter der die Frage nach unserem Weltverständnis steht. Sie machen deutlich, dass sich Identität, Bedeutung und Wirklichkeit erst in – veränderlichen – Kontexten konstituieren und nicht mit „Wahrheit" verwechselt werden dürfen. Durch seine Beschäftigung mit dem philosophischen Konstruktivismus für die Kontext- und Subjektabhängigkeit menschlicher Wahrnehmung und Erkenntnis sensibilisiert, entwarf er in einer für ihn charakteristischen Weise Installationen als mehrdimensionale, systembestimmte Erfahrungs- und Kommunikationsräume.

In handwerklich errichteten Miniaturanlagen aus architektonischen Elementen und Raumkapseln, die auch den Charakter von Laborsituationen erhalten, kombiniert W. W. Anger zuletzt Elemente der Naturwissenschaften, des virtuellen Cyberspace und realer Urbanität mit solchen des Alltags zu Szenerien einer unheimlichen Science-Fiction. So besteht die Installation „Subsystem" von 2000/2001 aus vielteilig vernetzten Schläuchen, Kugeln und Blasen, die an Molekularmodelle erinnern, und in die kleine Figuren – isoliert und doch miteinander verbunden – eingeschlossen sind. Nicht Entwürfe einer fantastischen Welt jedoch sind das Ziel des Künstlers, sondern das Sichtbarmachen von übergreifenden Strukturen von sozialen und kulturellen Zusammenhängen und Abhängigkeiten, in denen sich das Leben des Einzelnen – sein Wahrnehmen, Denken und Handeln – in unserer Gesellschaft entfaltet.

Mehrere dominante Themenbereiche prägen sein Werk, die allesamt um die Beziehungen zwischen Systemen und scheinbaren Gegensätzen kreisen: Subjekt/Objekt, Mensch/Maschine, lndividuum/Gesellschaft, Peripherie/Zentrum, Kommunikation/Isolation. Die Lektüre zahlreicher Bücher hat die Arbeit W. W. Angers stets begleitet, in der er – aufbauend auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen aus unterschiedlichen Bereichen wie Philosophie, Geschichte, Literatur, Kunsttheorie, Soziologie, Anthropologie und Film – eine konsequente interdisziplinäre Vernetzungs- und Transformationsarbeit leistete.

In seiner letzten Arbeit, der Bodeninstallation „Tatsachenkörper" von 2003, führt er schließlich eine leibliche Komponente ein, indem er einzelne, von seinem eigenen Körper in Gips abgenommene und fleischfarben bemalte Körperteile auf Kleiderbündeln lose auf dem Boden verteilt. Allein Antennen, die aus den Körperstücken ragen, scheinen noch die Möglichkeit von Kommunikation zu gewährleisten.

Kerstin BARNICK-BRAUN (in Parnass 1/2006)